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KOLUMNE Die Beton-Philosophie Jan Weiler weiß, warum wir so viele Dinge haben. Weil es immer einen gibt, der genau das sucht, was andere niemals bräuchten om griechischen Philosophen Sokrates ist ein Satz Weis den man heute gerne als konsumkri- tisch einstuft. Er lautet: ‚Wie zahlreich sind doch die Dinge, derer ich nicht bedarf.“ Er soll diesen Aphoris- mus bei einem Spaziergang über den Markt von Athen rausgehauen haben, dessen Angebot mutmaßlich ne- ben Amphoren und Hühnern auch etliche Werkzeuge, die neueste Gewandmode sowie diverse Speere und griechischen Joghurt umfasste. Ganz schön viel Zeug, besonders, wenn man sich beruflich eher mit Denken als mit Handeln beschäftigt. In den auf Sokrates folgenden etwa zweieinhalb- tausend Jahren wurde der Warenbestand nicht nur auf dem Athener Marktplatz, sondern überall in der Welt stetig erhöht, und auch die Verkaufsräume erfuh- ren eine enorme Diversifizierung. Es gibt inzwischen Märkte für Tierfutter, für Lebensmittel, für Möbel, für Schuhe, für Büroartikel und auch für den Bedarf von Bastlern, Handwerkern, Gärtnerinnen und Selber- machern. Sokrates wäre vermutlich überfordert damit, und das ist auch kein Wunder. Ich bin es ebenfalls. Und natürlich stellt sich die Frage nach dem Warum: Wieso brauchen wir so ungeheuerlich viele Dinge? Der nachsokratische Philosoph Dagobert Duck würde sagen: ‚Weil es toll ist, Sachen zu verkaufen.“ Und ganz unrecht hat er damit nicht. Aber bloß, weil sie toll sind, braucht es keine zweihundert verschiedenen Dü- bel. Der Grund dafür ist ein anderer: Im antiken Athen gab es nur eine Sorte Wand, nämlich aus Lehm. Wer also einen Dübel benötigte, wurde auf dem Marktplatz von Athen schnell fündig und erwarb diesen einen Dübel, für den auch bloß eine Schraube in einer Größe erhält- lich war, sowie ein Akkubohrer-Modell. 78 DER SCHRIFTSTELLER Jan Weiler sorgte mit. seinem „Pubertier” für Aufsehen. Seine Geschichten über Kinder im schwierigen Alter wurden fürs Kino verfilmt, 2017 gab's zudem eine TV-Serie. 2020 erschien sein Kolumnenband „Die Ältem“, 2022 sein Roman „Der Marki- senmann“. Weiler lebt in Umbrien und München, wo er gern ‚Ausflüge ins nächst- gelegene BAUHAUS unternimmt. Heute hingegen braucht man allein deswegen so viele verschiedene Dübel, weil es so unglaublich viele unter- schiedliche Verwendungsmöglichkeiten dafür gibt. Das Angebot umfasst Dübel für Stein, für Beton, für Stahl, Gips oder Holz, um daran Bilder, Regale, Autos oder griechische Statuen zu befestigen. Und natürlich behält recht, wer heute durch die Wunderwelt eines BAUHAUS Fachcentrums spaziert und denkt: Wie zahl- reich sind doch die Dinge, derer ich nicht bedarf. Das Wundervolle ist jedoch, dass es immer Men- schen gibt, die eben genau das suchen, was man selbst niemals für eine Anschaffung in Betracht ziehen würde. Und so begegnete ich vor Kurzem in meinem Lieblings-BAUHAUS einem Ehepaar, das elektrisiert vor einem Betonrüttler stand. Der Mann war hingeris- sen. Das Ding verfügte über einen sechs Meter langen Schlauch, und der Herr nahm es in die Hand wie eine Stradivari. Vor seinem geistigen Auge spielte sich be- reits die fachgerechte Verdichtung von Frischbeton in beträchtlichem Ausmaß ab. Seine Gattin war von der Anschaffung nicht recht überzeugt und wies darauf hin, dass man gekommen sei, um Blumenerde, ein paar Pflanzen und womöglich etwas Dekoratives für den Garten zu erwerben. „Aber stell‘ dir vor: Ich könnte die Terrasse ver- größern. Alles, was ich dafür brauche, ist ein kleiner Bagger, ein paar Kubikmeter Beton, einen kleinen Be- tonmischer, ein wenig Baustahl und ein paar Meter Bauzaun, damit der Hund nicht auf die Baustelle läuft. Und diesen Rüttler!* Er hielt ihn hoch wie einen Welt- meisterschaftspokal. Er machte einen sehr motivierten Eindruck auf mich. Seine Frau entgegnete, dass die Terrasse bereits halb so groß wie die Rasenfläche sei und dass der Gar- ten schon jetzt aussähe wie der Parkplatz eines Getränkemarktes. Sie werde unter keinen Umständen dulden, dass auch der letzte Rest ihres Grundstückes versiegelt werde. Dann nahm sie ihm den Betonrütt- ler aus der Hand, legte ihn zurück ins Regal und sagte: „Du immer mit deiner Bauwut.“ Sie entwich Richtung Gartenab- teilung und ließ ihren Mann zu- rück. Er sah mich traurig an und sagte: ‚Was gibt es Schöneres als eine Frau, die einem sagt, was man alles nicht braucht.“ Diese Äußerung legt die Vermutung nahe, dass Sokrates glücklich ver- heiratet war. = BAUHAUS ILLUSTRATION: Till Hafenbrak; FOTO: Tibor Bozi
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