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ÖKOLOGISCHE ZUKUNFTSFÄHIGKEIT Die Menschheit verändert die Erde. So nachhaltig, dass Geologen dafür sogar einen neuen Begriff erfunden haben. Was folgern wir daraus für die Nachwelt? Liebe alverde-Lesende, wenn ich wissen will, wie ich früher so drauf war, suche ich im Keller in alten Kisten und finde zum Beispiel Postkarten, das „Social Media“ meiner Jugend. In welcher Zeit wir heute leben, versteht man am besten durch einen gedanklichen Zeitsprung. So wie wir uns aus Einschlüssen im Bernstein oder den Abdrücken von Flugsaurierskeletten den Alltag vor Milli onen Jahren herleiten, werden in einer Million Jahren immer noch bestimmte Dinge aus den vergangenen 80 Jahren unserer Zeit überdauert haben. Ab der Mitte des letzten Jahrhunderts tauchen zum Beispiel Reste von strahlendem Atommüill auf, die esin keiner Steinschicht vor uns gab. Was werden künftige Geolog:innen an Überresten aus unserer Epoche in Museen ausstellen? Statt Keramikscherben vielleicht Kaffeekapseln aus Aluminium oder To-go-Becher? Autokarosserien anstelle von Saurierskeletten? Jede Menge Knochen von immer dersel- ben Sorte Nutztieren werden die Forscherinnen und Forscher rätseln lassen, welchem Fleischkult wir unsere Zukunft geopfert haben. Auch Beton als eine der „Gesteinsformationen“, die vom Menschen geschaffen wurden, wird aufewig auffallen. Und Plastik ohne Ende. Ja, wir haben schon jetzt aufdieser Erde einen im wahrsten Sinne des Wortes bleibenden Eindruck hinterlassen. Will- kommen im Erdzeitalter auf dem Plane- ten der Menschen, willkommen im Anthropozä Geolog:innen nennen die Phasen der Erdentwicklung „Zäne“ und finden dafür jeweils charakteristische Spuren im Gestein. Das Wort „Anthropozän* wurde 2014 in das „Oxford Dictio- nary“ aufgenommen. Im selben Jahr wie Selfie. Wie stark hängt unsere Selbstbezogenheit damit zusammen, dass wir die Erde - und damit unsere Lebensgrundlage - zerstören? Der Begriffder Zeitenwende bedeutet ein Umdenken unserer Rolle. Wir haben „die Natur“ über Jahrtausende unserer mensch- lichen Entwicklung als „feindliches Gegenüber“ betrachtet. Wir mussten uns verteidigen gegen ihre Willkür, gegen ihre Übermacht, ihre schiere Größe und Gewalt. Wir gaben den Gewittern Götternamen, um sie gnädig zu stimmen. Aber eigentlich war uns klar, dass die Umwelt sich wenig Gedanken über uns machte, und so sorgten wir vor. Wenn es kalt wurde, warfen wir uns Felle über, machten Feuer „Wir haben schon jetzt auf dieser Erde einen bleibenden Eindruck hinterlassen.“ und erzählten uns Geschichten. Im Kampf ums Überleben war jedes Mittel recht, wir hatten das Recht des Schwäche- ren auf unserer Seite. In vielen indigenen Kulturen war das sicher anders, mehr ein Wechselspiel, ein Miteinander, da bat man ein Tier um Entschuldigung, wenn man es tötete und verspeiste. Aber es war klar, dass es im Wald immer noch genug Tiere gab. Und während wir immer mehr Menschen wurden und immer aufwendigere Dinge erfanden, bauten und raubten, verpassten wir, den Moment wahrzunehmen, ab dem nicht mehr die Natur die Bedrohung für uns darstellte, sondern wir die Bedrohung für die Natur. Christian Schwägerl hat die Geschichte des Anthropozäns tief inhaliert, den geistigen Übervater und Nobelpreisträ- ger Paul Crutzen noch erlebt und mir mit seinen Texten auf der Plattform „RiffReporter“ geholfen zu verstehen: „Bisher verschanzten Menschen sich hinter der Formel, ihre Handlungen durch die Mil- liardenzahl der Menschen zu teilen und daraus abzuleiten, dass man selbst doch nur einen minimalen Teil Verantwortung trägt. Die Zukunftsformel lautet dage gen, seine eigene Lebensweise mal acht, neun, zehn Milliarden zu nehmen und zu sehen, was die Folgen wären.“ Könnte von Immanuel Kant sein, der seinen kategorischen Imperativ so formulierte: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“ Heute könnte man drastischer formulieren: Handle so, dass deine Kinder und Enkel dich dafür nicht hassen müssen. Mir hilft das, denn Generationen sind uns näher als Gesteinsschichten, auch im Anthropozän! Ihr Eckart u, Hirschhausen Arzt, Wissenschaftsjournalist und Gründer der Stiftung „Gesunde Erde - Gesunde Menschen“ *Anthropozän bezeichnet ein neues geologisches „Zeitalter, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist“ (Wikipedia) alverde November 2022 73
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